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Das erste Interview (1)

Mein total optimiertes Schriftstellerleben

Eine Zeitung hat sich gemeldet. Zehn hab ich angeschrieben, eine hat sich gemeldet: Der Kirchberger Bote. Die Zeitung, in die Eddie immer die Hausmacher Wurst eingewickelt hat, erinnert Ihr euch? Die Zeitung, die er mitsamt der Blutwurst, Leberwurst und dem Schwartenmagen in den Ofen geschmissen hat, wenn Anna ihm wieder mal blöd gekommen ist? Habt Ihr mein Buch gelesen? Das Haus an den Gleisen? ... Die sind das! Die wollen ein Interview mit mir machen. Erstes Buch! Erstes Interview! 

Der erste Meilenstein zum Ruhm!

Wir haben uns verabredet. Nächste Woche. Diese Woche hab ich keine Zeit. Ich brauche einen gewissen Vorlauf, kann mich ja nicht mit jedem unterhalten. Ich bin ein vielbeschäftigter Schriftsteller. In der Stadt im - darf ich das hier sagen? - Café Mozart. Nächsten Freitag, also nicht Freitag diese Woche, sondern Freitag nächste Woche, zehn Uhr. Es kommt ein Fotograf mit. Ist das in Ordnung? Ja, sage ich leicht genervt, Fotograf? Na klar, ich werde jeden Tag fotografiert! das ist in Ordnung.

Ein Fotograf! Mein Gott, Leute, bin ich aufgeregt. Da kommst du monatelang nicht aus der Hütte und gleich öffentliche Person. Ich höre mich schon an wie Wolf Haas, habt Ihr's gemerkt? Das ist der mit dem Brenner: Jetzt ist schon wieder was passiert ...

Also jetzt geht's los! Ich muss mich vorbereiten. Ich weiß auch schon, wie. Ich werde mir eine Liste mit Fragen und Antworten machen. Coole Fragen! Coole Antworten! Vorbereitung zahlt sich aus. Das Buch wird abgehen wie eine Rakete. Die Verkaufszahlen werden explodieren

So ein Gespräch darfst du nicht aus der Hand geben. Das ist wie bei jedem Gespräch - du musst immer darauf achten, dass du die Fäden in der Hand hast. Du musst immer im Driver Seat sitzen! Gegebenenfalls musst du die Fragen so umformulieren, dass sie zu deinen Antworten passen. Und cool bleiben! Cool wie die Sau! Nie aus dem Konzept bringen lassen.

Interviews werden oft unterschätzt. Manche gehen hin und denken: Okay, erzähl ich denen halt mal was von mir. Kann ja gar nicht schiefgehen. Die Welt wartet auf mich. Hallo Leute, hier bin ich ... Hauptsache, sie sind nett. 

Nett? Was ist denn das für eine Scheiße?! Du willst gelesen werden. Du brauchst ein Publikum. Also musst du dich prostituieren, auf den Markt gehen, auf den Straßenstrich, wo schon viele andere sind, gegen die du dich behaupten musst. Du willst wahrgenommen werden: Was ziehst du an? Was kannst du herzeigen? Was hast du zu bieten? Wer bist du?


1. Wer bin ich?

 

Grass, Enzensberger, Rosamunde Pilcher, Joanne Rowling oder Atze Schröder? Harry Potter oder Blechtrommel? Ein Klon, das siebenhundertachtundvierigste Feinwaschmittel, oder ein Original? Eine eigenständige Marke? Was passt zu mir? Bin ich ein Träumer, ein Rebell, ein verhinderter Politiker, ein frustriertes Arschloch, ein Schlächter ...? Märchenerzähler, Aufwiegler, Visionär, Mahner? Will ich Menschen umbringen: erdolchen, vergiften, überfahren, in Säure auflösen, zerstückeln, zersägen, enthaupten, kochen? Einzeln oder in Serie?

Wenn du natürlich schon ein Serienkiller bist, musst du nichts weiter tun. Dann kannst du dich schmunzelnd zurücklehnen und ganz du selbst sein. 

Ach ja, und noch was: Kann ich überhaupt, was ich will? Kann ich überhaupt sprechen? Pipi, kaka, dadada, bubu ... Wörter, Sätze, Grammatik, Stil - schon mal gehört? Schon mal ein Buch gelesen?


2: Was ist mein Markenkern?

 

Wenn du weißt, wer du sein willst, welche Marke du bist, kannst du deinen Markenkern entwickeln. Rebellen sehen anders aus als Märchenerzähler, Philosophen anders als Schlächter (nicht immer, aber meistens). Sie reden auch anders ... Deine öffentliche Erscheinung musst du gestalten - und zwar alles: wie du auftrittst, wie du dich setzt, ob du die Beine übereinander schlägst oder nicht, ob du Anzug oder Jeans trägst, Hemd oder Pullover, Mimik, Gestik, Ausdruck, alles. Und natürlich, was du sagst. 


3. Die Marketingstrategie  

 

Du musst dich kennen, deine Ziele kennen, wissen, wo du hinwillst und auf welchem Weg du dort hinkommst. Du darfst nichts dem Zufall überlassen. Mit anderen Worten: Du musst dich managen! Du brauchst eine Marketingstrategie, wo jeder Baustein zum anderen passt und alles harmoniert. Kommunizierende Röhren. Branding, Wording, Feeling, Networking. Alles aus einem Guss.

Denn es ist doch so: (Das bleibt jetzt aber unter uns. Das ist jetzt wirklich streng geheimes Marketingwissen.) Wir bewegen uns in einem Markt mit einer sehr niedrigen Eintrittsbarriere. Alle können rein und ihren Scheiß sofort per Knopfdruck über die ganze Welt verstreuen. Im Internet wird das Kleinste ganz groß, auch wenn das Kleinste ganz großer Mist ist. Hinter dem Fussabdruck eines Tyrannosaurus Rex kann sich eine Maus verbergen - oder der feuchte Traum einer Maus. Wahrlich, ich sage euch: Genauso ist es auch!

Der Markt ist jung, aber er professionalisiert sich. Viele von denen, die heute dabei sind, werden morgen verschwunden sein, aus den unterschiedlichsten Gründen. Es gibt Super-Duper-Stars, Superstars, Stars und einen verdammt langen Schwanz. Nein, nicht das, was ihr jetzt denkt. Oh, oh ... oh, oh ... ich sehe schon, da hapert es gewaltig. Jetzt müssen wir mal schnell unterbrechen, einen Einschub machen und einen Blick auf den langen Schwanz werfen.

(So ist das, wenn ich anfange, komme ich vom hundertsten ins tausendste. Besser gar nicht anfangen. Ich weiß nicht, was mein Markenkern ist, und eine Marketingstrategie habe ich auch nicht. Ich kann nicht zu diesem Interview gehen. Ich muss absagen! Ich hasse diesen Blog. Ich weiß nicht, wer ich bin!)


Fortsetzung folgt:

Der lange Schwanz

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